Lenz

Lenz by Georg Büchner Read Free Book Online

Book: Lenz by Georg Büchner Read Free Book Online
Authors: Georg Büchner
Tags: Classics
In der Nacht aber, zwischen dem 4. und 5. Hornung, sprang er wieder in den Brunnentrog, mit heftiger Bewegung, um, wie er nachher gestand, die Wunde aufs Neue zu verschlimmern.
    Seit Hrn. K. . .’s Besuch logirte Hr. L. nicht mehr im Schulhaus, sondern bei uns in dem Zimmer über der Kindsstube. Den Tag hindurch war er auf meiner Stube, wo er sich mit Zeichnen und Malen der Schweizergegenden, mit Durchblättern undLesen der Bibel, mit Predigtschreiben, und Unterredung mit meiner Frau beschäftigte.
    Den 5. Hornung kam ich von meiner Reise zurück; er war, wie ich oben gesagt, anfangs darüber bestürzt, und bedauerte sehr daß ich nicht in der Schweiz gewesen. Ich erzählte ihm daß Hr. Hofrath Pfeffel die Landgeistlichen so glücklich schätzt, und ihren Stand beneidenswerth hält, weil er so unmittelbar zur Beglückung des Nächsten aufweckt. Es machte Eindruck auf ihn. Ich bediente mich dieses Augenblicks ihn zu ermahnen sich dem Wunsche seines Vaters zu unterwefen, sich mit ihm auszusöhnen, u.s.w.
    Da ich bei manchen Gelegenheiten wahrgenommen daß sein Herz von fürchterlicher Unruhe gemartert wurde, sagte ich ihm, er würde sodann wieder zur Ruhe kommen, und schwerlich eher, denn Gott wußte seinem Worte: »Ehre Vater und Mutter,« Nachdruck zu geben, u.s.w.
    Alles was ich sagte waren nur meistens Antworten auf abgebrochene, oft schwer zu verstehende Worte, die er in großer Beklemmung seines Herzens ausstieß. Ich merkte, daß er bei Erinnerung gethaner, mir unbekannter Sünde, schauderte, an der Möglichkeit der Vergebung verzweifelte; ich antwortete ihm darauf; er hob seinen niederhängenden Kopf auf, blickte gen Himmel, rang die Hände, und sagte: »Ach! ach! göttlicherTrost — ach — göttlich — o — ich bete — ich bete an!« Ich sagte mir sodann ohne Verwirrung, daß er nun Gottes Regierung erkenne und preise, die mich so bald, ihn zu trösten, wieder heimgeführt.
    Ich gieng im Zimmer hin und her, packte aus, legte in Ordnung, stellte mich zu ihm hin. Er sagte mit freundlicher Miene: »Bester Herr Pfarrer, können Sie mir doch nicht sagen was das Frauenzimmer macht, dessen Schicksal mir so zentnerschwer auf dem Herzen liegt?« Ich sagte ihm, wußte von der ganzen Sache nichts, ich wolle ihm in Allem, was ihn wahrhaft beruhigen könne, aus allen Kräften dienen, er müßte mir aber Ort und Personen nennen. Er antwortete nicht, stand in der erbärmlichsten Stellung, redete gebrochene Worte: »Ach! ist sie todt? Lebt sie noch? — Der Engel, sie liebte mich — ich liebte sie, sie war’s würdig — o, der Engel! — Verfluchte Eifersucht! ich habe sie aufgeopfert — sie liebte noch einen Andern — aber sie liebte mich — ja herzlich — aufgeopfert — die Ehe hatte ich ihr versprochen, hernach verlassen — o, verfluchte Eifersucht! — O, gute Mutter! — auch die liebte mich — ich bin euer Mörder!«
    Ich antwortete wie ich konnte; sagte ihm unter anderm, vielleicht lebten diese Personen alle noch, und vielleicht vergnügt; es mag seyn wie es wolle, so könnte und würde Gott, wenn er sich zu ihm bekehrt haben würde, diesen Personen auf seinGebet und Thränen, so viel Gutes erweisen, daß der Nutzen, den sie sodann von ihm hätten, den Schaden so er ihnen zugefügt, leicht und vielleicht weit überwiegen würde. — Er wurde jedoch nach und nach ruhiger, und gieng an sein Malen.
    Hr. C. hatte mir zu Emmendingen einige in Papier gepakte Gerten, nebst einem Brief für ihn mitgegeben. Eines Males kam er zu mir; auf der linken Schulter hatte er ein Stück Pelz, so ich, wenn ich mich der Kälte lange aussetzen muß, auf den Leib zu legen gewohnt bin. In der Hand hielt er die noch eingepackten Gerten; er gab sie mir, mit Begehren, ich solle ihn damit herumschlagen. Ich nahm die Gerten aus seiner Hand, drückte ihm

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